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Hilfe vor Ort

„Du brauchst eine neue Hose“, sagt meine Frau, „geh zu H&M.“ „Bist du verrückt geworden? Bevor ich etwas von H&M kaufe, ziehe ich einen Kartoffelsack an.“ Sie weiß, dass ich manchmal zu Übertreibungen neige, will aber trotzdem den Grund meiner Ablehnung wissen. „Erstens: Mir passt nix von der Stange. Es muss alles geändert werden. Und ich habe keine Lust, mir von einem Schneider mit Kreidestaub an den Händen im Schritt herumfummeln zu lassen. Und zweitens: Für meine Hose schuften in Bangladesch Frauen und Kinder rund um die Uhr für einen Hungerlohn. Und nur damit das klar ist: Ich kauf auch nichts bei C&A, Primark und KiK.“

Es wird langsam eng bei der Auswahl an Lieferanten, die mir fair getradete Kleidung verkaufen könnten. Ich war vor ein paar Jahren in Indien. Da habe ich mir in Jaipur zwei Hemden machen lassen. Direkt vom Schneider vor Ort. Reine Seide. 40 Euro, das Stück. Lieferung noch am selben Abend. Dieses Fairtrade ist schon super. Da habe ich gleich viel besser geschlafen. Andererseits kann ich wegen einer Hose nicht extra nach Delhi reisen. Das wäre ethisch zwar korrekt, wirft aber umgehend ein neues Problem auf. Nehme ich ein Flugzeug, schmelzen die Polkappen und die Eisbären sterben aus. Fahre ich mit der Bahn, bin ich Monate unterwegs. Und mein Klimaticket wird in Indien nicht akzeptiert. Das hat mir Indian Railways schon bestätigt. Das war wieder so ein Fehlkauf von mir.

Die Situation ist verfahren. Also recherchiere ich im Netz und bleibe bei KiK hängen. Der Geschäftsführer betont in einem Interview, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um die Situation der Näherinnen in Bangladesch zu verbessern. Das ist sehr lobenswert. Wenn die jetzt, sagen wir mal großzügig, 15 Cent in der Stunde bekommen, dann ist das doch fair und marktgerecht. Danach muss aber Schluss sein. Denn wenn diese Weiber auch noch einen 8-Stunden-Tag bei einer 5-Tage-Woche verlangen, dann kann sich bei uns niemand mehr eine Hose leisten.

Die Armut im Osten ist wichtig für uns im Westen. Wer daran rüttelt, muss damit rechnen, dass die Produktion ausgelagert wird. In ein Land, wo noch billiger gearbeitet wird. Zum Beispiel in den Kongo, wo Kindersklaven für eine Handvoll Reis in Kobaltminen schuften, damit wir uns ein E-Auto kaufen können. Aber der Westen zeigt mittlerweile Herz und Charakter und gibt den Armen zurück, was ihnen gehört. Unser Müll mit seinen wertvollen Rohstoffen wird jetzt nicht mehr auf Halden gelagert oder einfach verbrannt, sondern zu Ballen gepresst und nach Afrika und Asien exportiert, wo die Rohstoffe wieder in den Erdboden gelangen. Auf diese Weise wird der Kuchen des Reichtums gerecht verteilt und niemand muss sich mehr auf den gefährlichen Weg nach Europa machen. Hilfe vor Ort, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Das ist heutzutage enorm wichtig. 

Bewertung: 4.5566037735849 Sterne
106 Stimmen

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Kommentare

Mario
Vor 2 Jahr

Punktlandung...so wahr!! Bravo!!

Roma
Vor 2 Jahr

Auf den Punkt gebracht, und: weit weg von Satire Danke!
Ein Boomer

Wolfgang Lehmann
Vor 2 Jahr

Wenn die Pointe - der Witz am Schuss nicht der Spiegel wäre ...

Wolfgang Lehmann
Vor 2 Jahr

... was für eine Punktlandung, danke. Konnte ob dem Ernst nicht lachen. Aber Satire darf auch dazu anregen, nachdenklich zu sein. Wirklich sehr analytische Darstellung.

Wolfgang Lehmann
Vor 2 Jahr

Es tut gut und macht echt sehr großen Spaß über die an und für sich ernste Angelegenheit einmal herzlich lachen zu können.

Markus Mülneristch
Vor 2 Jahr

Was schwimmt im Bodensee und hat keine Zähne mehr? Die Laura nach dem gescheiterten Versuch einen Gsibergerwitz zu erzählen...

Christoph Brenner
Vor 2 Jahr

NUR SO WEITER ! 👍
Macht sehr viel Spaß !
„HUMOR IST WENN MAN TROTZDEM LACHT“
Beste Grüße CB

Elfriede
Vor 2 Jahr

Jo so sans...

manuela krennbauer
Vor 2 Jahr

Ich lach mich scheckig,aber die Familie Putz darf man auch nicht vergessen.

Sabine Eckhart
Vor 2 Jahr

Sehr geehrter Herr Ravensreiner !
Ich befürchte die Kuh Christina aus dem oben genannten Werbespot ist ein Ochs. 😁
Liebe Grüße
Sabine Eckhart